15.07.2016

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Zufälligerweise bildet das Berliner Schmuddelwetter heute einen angemessenen Rahmen für die Orte, auf die wir bei unserem Spaziergang treffen.

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Die Gedenkkirche "Maria Regina Martyrium" hat auf den ersten Blick etwas abweisendes, beklemmendes - was nicht zufällig so ist, wie wir später nachlesen. In dem leeren Innenhof fühlt man sich wie in einem Gefängnishof oder auf einem Appellplatz, der vorgelagerte Kirchturm erinnert an einen Wachturm, über allem schwebt der Kirchenbau als massiver, grauer Block. Die Kirche ist mit ihrer Fassade direkt auf die Gedenkstätte Plötzensee ausgerichtet und ehrt die dort ermordeten "Blutzeugen" (eine etwas seltsame Wortwahl, die auch die Nationalsozialisten verwendeten), die für ihren Einsatz für Glaubens- und Gewissensfreiheit ihr Leben verloren.

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Im Inneren wirkt der Bau dann leicht und klar, durch gut platzierte Lichtöffnungen und die glatt versiegelten Beton- und Holzoberflächen.

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Gartenlabyrinth für Menschen ohne Orientierungssinn. (Ja, ich weiss, es handelt sich hier eher um einen spirituellen Irrgarten.)

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Kleingartenkolonien und ihre kuriosen Namensgebungen. Da stellen sich uns Fragen. War "Frischer Wind" eine direkte Reaktion auf den Nachbarn "Gemütlichkeit?" War "Neue Hoffnung" eine Abspaltung der "Guten Hoffnung"? 

In den Namen erkennt man die Wurzeln der Schrebergarten - Bewegung in den Armen- und Arbeitergärten des endenden 19. Jahrhunderts, und allgemein die Utopien jener Zeit, die den "neuen Menschen", mit einer neu erwachten Wertschätzung der Natur und überhaupt eine gerechtere Gesellschaftsform kurz bevorstehen sahen. Um so bitterer, das hier in unmittelbarer Nähe zu einem der Verbrechensorte des NS-Regimes zu finden.

Ein Blick ins "Kleingarten-Namenregister" zeigt, es gibt überhaupt viel Neues: "Neue Heimat", "Neue Hoffnung", "Neue Zeit", "Neue Welt", "Neues Leben" oder "Neuland". Das Spektrum reicht von "Morgenröte" bis "Abendruh"; "Einheit", "Einigkeit", "Eintracht" und "Gemeinwohl" werden beschworen, in Ost und West ruft man "Vorwärts" und sorgt sich ums "Volkswohl" und "Familienglück". Aber es findet sich auch weniger Verlockendes, wie die "Mückenburg", den "Schweinskopf" und, mein persönlicher Favorit, das "Tal der Tränen".

Der Namensgeber selbst war übrigens zur Gründung des ersten Schrebergartens schon seit 3 Jahren verstorben, und war mehr ein genereller Ideengeber. Dazu entpuppt er sich bei genauerem Nachlesen als eher tyrannisch-autoritärer Weltverbesserer, der mit fragwürdigen Methoden zur Verbesserung der Körperhaltung von Kindern experimentierte, oder "mechanische Apparate zur Verhinderung der Masturbation" entwickelte, und als Erziehungsmassnahme auch durchaus mal die Prügelstrafe für Säuglinge empfahl.

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Als Menschen, die sich in der heutigen Medienlandschaft bewegen, kennen wir intuitiv unsere Rollen und Motive. Als uns dieser Anwohner mit der Kamera sieht, setzt er sich mit unserer Unterstützung selbst in Szene, und wir kreieren dieses Motiv, das einem irgendwie bekannt vorkommt: "Entrüsteter Bürger prangert Missstände an." Dabei war es gar nicht so wichtig, dass wir im Prinzip nur zum Privatgebrauch fotografieren, und an einer Kopie des Fotos zur eigenen Verwendung hatte er auch kein Interesse. Der Akt des Aufzeigens, und das damit verbundene Gefühl, gehandelt zu haben, war in dem Fall wichtiger als ein konkretes Resultat.

Trotzdem will ich an dieser Stelle mein Möglichstes tun: Also wirklich, Leute. So geht das aber nicht. 

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Seit 1879 gibt es auf dem Gelände der JVA Plötzensee Gefängnisbauten. Zur Zeit der Nationalsozialisten wurden hier fast 3000 Menschen umgebracht,  davon 168 während einer einzigen Nacht im September 1942.

Heute verbüsst etwas ein Drittel der hier Inhaftierten eine Gefängnisstrafe wegen wiederholten Schwarzfahrens.

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In den Jahren 1890 bis 1932 wurden hier insgesamt 36 Todesurteile vollstreckt; in den folgenden 12 Jahren wurden dann über 2890 Menschen ermordet. Ein Grossteil der Oper waren Menschen, die im Widerstand aktiv waren, aber auch Wehrdienstverweigerung, Plünderung, Mundraub oder das Erzählen von Hitlerwitzen konnte mit dem Tod bestraft werden. Eine flache Baracke diente als Richtplatz. Die Hinrichtung erfolgte zunächst per Fallbeil, als das aber nicht ausreichte, wurde ein Stahlträger mit 8 Haken eingezogen, an denen man die Verurteilten erhängte.

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Die Angehörigen eines Hingerichteten wurden wie folgt zur Kasse gebeten:

300 Reichsmark Gebühr für die Todesstrafe

81,60 RM Anwaltskosten

1,50 RM pro Hafttag in Plötzensee

158,18 RM Kosten der Strafvollstreckung 

12 Pfennige Porto für die Übersendung der Kostenrechnung.

 

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