22.04.2015

G 20

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Vor kurzem habe ich gehört, dass der Online-Musikdienst Spotify seine "Shuffle"-Funktion umprogrammieren musste, weil es den Hörern nicht zufällig genug vorkam. Das heisst, anstelle von tatsächlich zufälligen Ergebnissen erhält man nun Playlisten, die sich subjektiv so anfühlen. So besteht zumindest nicht mehr die Gefahr, die Wildacker Herzbuben rein zufällig dreimal hintereinander hören zu müssen.

Unser Wildacker Herzbube ist der Buchstabe "G". Schon zum 4. Mal sind wir jetzt auf dieser Achse gelandet. Ausserdem gibt es auffällige Ballungen rund um den Weissensee und in Mariendorf. Der gesamte Ostteil Berlins dagegen, immerhin ein Viertel unserer Stadtkarte – unerforscht. Der Süden, alles von T bis X? Ein weisser Fleck. Das komplette Gebiet innerhalb des Rings? Nichts, bis auf einen Zoobesuch. Sollten hier also zufällig Spotify-Programmierer unter den Lesern sein, bitte lasst uns an eurem Algorithmus teilhaben, damit wir uns auch mal richtig zufällig fühlen können.

 

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Uns fällt auf, dass erstaunlich viele Tiere das Stadtgebiet mit uns teilen. Abgesehen von unserem Zoobesuch sind wir Reihern und Rehen, Schweinen und Schafen, Emus und Alpacas begegnet. Und diesem komischen Puschelvieh.

 

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Der jüdische Friedhof Weissensee, eröffnet im Jahr 1880. Da nach jüdischer Tradition Gräber nicht wieder neu belegt werden, sondern bis zum Tag des jüngsten Gerichts bestehen bleiben, bietet der Friedhof einen Einblick in die Geschichte der jüdischen Bestattungskultur. Von den prächtigen Grabstätten der Geschäftsleute des 19. Jahrhunderts, die eher dem sozialen Geltungsbewusstsein als er Glaubenstradition entsprachen, bis zu den anonym und heimlich Bestatteten in der Zeit des NS-Regimes. Auch heute noch finden Begräbnisse statt, und da die jüdische Gemeinde mittlerweile zum grossen Teil aus osteuropäsch-stämmigen Familien besteht, haben diese zum Leidwesen des Rabbiners auch ihre eigenen Bestattungstraditionen mitgebracht.

Der Friedhof hat die Nationalsozialisten erstaunlich unbeschadet überstanden. Ein Grund dafür könnten Gerüchte über Golems und Geister gewesen sein, die hier ihr Unwesen trieben – so glaubt zumindest ein Zeitzeuge in dem sehenswerten Weissensee - Dokumentarfilm "Im Himmel, unter der Erde." Vielleicht lag es aber auch daran, dass es in den 12 Jahren Naziherrschaft andere Prioritäten gab, und es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dieser Ort dem Erdboden gleich gemacht worden wäre.

 

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Auch wenn Kurt Tucholskys Lebensweg letztlich nicht auf dem Friedhof Weissensee endete, schrieb er 1925:

 

Es tickt die Uhr.
Dein Grab hat Zeit,
drei Meter lang, ein Meter breit.
Du siehst noch drei, vier fremde Städte,
du siehst noch eine nackte Grete,
noch zwanzig–, dreißigmal den Schnee –
Und dann:
Feld P – in Weißensee –
in Weißensee.

 

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Wir haben auf unseren Spaziergängen eine Art Spiel entwickelt: wann immer wir ein interessantes Haus, eine leerstehende Fabrik oder sonst ein Wohnprojekt sehen, fragen wir uns: "Wenn du hier wohnen könntest..." –
bei dieser Remise waren wir uns schnell einig. Auch wenn ein genauerer Blick umfangreiche Aufräumarbeiten erahnen lässt.

 

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Und wieder gibt es eine Überlappung. Nach fast einem Jahr landen wir an derselben Ecke wie auf unserem allerersten Spaziergang. Ich bin mir sicher, das Eis im Eisspatz ist immer noch genauso lecker. Nur war uns heute die Schlange zu lang.

 

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