Immer wieder treffen wir bei unseren Spaziergängen auf Orte, die es in ihrer derzeitigen Form schon bald nicht mehr geben wird. Wir erleben den stetigen Prozess der kapitalistischen Maschine, die nach und nach alle wuseligen Ecken der Stadt schluckt, verdaut und grundsaniert wieder ausspuckt. Deshalb sind wir für die Anzeichen dieses Prozesses sensibilisiert, und unser Gang durch Treptow beginnt mit einem leichten Schock; scheinbar muss hier wieder ein altes Gebäude, dass doch eigentlich unter Denkmalschutz stehen sollte, der Bauwut weichen.
Allerdings treiben sich merkwürdige Gestalten auf dem Gelände herum, die nicht so recht zu einem Abriss-Unternehmen passen wollen.
Auf der Rückseite des Hauses schliesslich die Erklärung: es ist alles nur Kulisse - der Abriss ist in Wirklichkeit ein Anbau.
Und doch ist zu befürchten, dass die charmant - verwahrlosten, freistehenden Gebäude der ehemaligen Flaschenfabrik Stralau schon bald runderneuert und von zeitgemässen Townhouses umringt sein werden, wie man am benachbarten Flaschenturm schon sehen kann. Dabei war die harmonische Kombination von Wohnen und Arbeiten schon zur Gründung der Fabrik um 1890 ein wichtiges Thema, der Unternehmer Edmund Nathan vertrat erstaunlich fortschrittliche Einstellungen zur Freizeitgestaltung, Ernährung und Kinderbetreuung seiner Arbeiter. Er war der Meinung, "daß sich die Arbeiter in einer so organisierten Fabrik wohl fühlen und zufrieden sind, fleißig arbeiten, weil sie so schönes Geld verdienen, und so gibt es keinen socialistischen Unfug."
Dass Fabrikbesitzer Nathan sich vergeblich mühte, dem sozialistischen Unfug Einhalt zu gebieten, zeigt sich in unmittelbarer Nähe. Das sowjetische Ehrenmahl ist voll sozialistischer Symbolik: ein stilisierter russischer Soldat, ein Kind auf dem Arm, zertritt unter seinen Füssen ein Hakenkreuz; die monumentalen Marmorflügel symbolisieren gesenkte Fahnen, davor knien ein alter und ein junger Soldat; "Mutter Heimat" senkt ihren Kopf in Trauer über die Gefallenen und zahllose Steinreliefs künden von den Taten der roten Armee. Die gefallenen Soldaten liegen allerdings nicht etwa unter den angelegten Grabfeldern, sondern eher unter den Platanenbäumen links und rechts der Anlage.
Stalins Zitate erhalten einen frischen Anstrich.
Die Archenhold-Sternwarte, mit dem "längsten Linsenfernrohr der Erde", und einer angenehm wurschteligen Dauerausstellung. 1915 erklärte hier Einstein den Berlinern die Relativitätstheorie.
Der Spreepark Berlin hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich. 1969 wurde der "Kulturpark Plänterwald" als erster und einziger Vergnügungspark der DDR erbaut. Nach der Wende wurde der Park von einem privaten Betreiber übernommen, bis dieser nach ein paar Jahren Insolvenz anmelden musste. Später wurde der ehemalige Besitzer bei dem Versuch verhaftet, 167 kg Kokain im Mast eines Fahrgeschäfts von Peru nach Deutschland zu schmuggeln. Der Park verfällt langsam, wird beliebtes Ziel von urbanen Erforschern mit Kameras und sonstigen Neugierigen, Veranstaltungsort für Kunstaktionen und Filmdrehs. Unregelmässig finden Fahrten mit der Instand gesetzten Parkeisenbahn über das surreal - verkommene Gelände statt, ausserdem Führungen mit der Tochter des ehemaligen Eigentümers, die dabei die abenteuerliche Geschichte ihrer Familie erzählt. 2014 übernimmt die Stadt dass Gelände, lässt nach einem Brandanschlag diesen stattlichen Zaun errichten und unterbindet alle Aktivitäten bis auf weiteres. Die Zukunft ist offen; aber was immer auch entschieden wird, der Charme dieses Ortes, einer der mit Geschichten aufgeladenen Leerstellen der Stadt, wird auch hier bald vorüber sein.
Aufgrund der aktuellen Unzugänglichkeit hier ein paar Bilder eines früheren Besuchs.
Auch diese unscheinbare Brücke hat ihre Geschichte. Bis nach dem 2. Weltkrieg verfügte Berlin noch über 5 Kopfbahnhöfe, Gusseisen- und Glaskonstruktionen mit klassizistischen Fassaden. Kriegsschäden, die Teilung der Stadt und die geänderten Ansprüche an die Mobilität liessen sie aber nach und nach verschwinden. Vom Görlitzer Bahnhof, der früher Berlin über Görlitz mit Wien und Wrocław verband, blieben nur einige Restgebäude und eine Brache. Die Trasse allerdings, mit dem Mauerbau nutzlos geworden, bestand weiter, und seit in den 90er Jahren der Görlitzer Park angelegt wurde, kann man nun über den ehemaligen Bahndamm in erstaunlich kurzer Zeit direkt von Alt-Treptow nach Kreuzberg spazieren.
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